KOENIG2 by_robbygreif, Vienna | March 5 – April 30, 2020
Cécile Wesolowski, geb. 1982 in Croix, Frankreich, lebt und arbeitet in Potsdam, Deutschland
Zeit als Konstante, als unveränderlichen Parameter, in unsicheren, flüchtigen Zeiten anzunehmen, scheint paradox. In der Auffassung des Soziologen Zygmunt Bauman ist es aber gerade diese Flüchtigkeit, für die er den Begriff “liquid” verwendet, die unsere gegenwärtige Zeit darstellt. Liquidität beschreibt eine Qualität, in der das Diaphane an die Stelle des Festen tritt und Sehnsucht stärker ist als Bedürfnis. “Liquid life”, eine von Baumans Publikationen zu dem Thema aus 2005, ist zugleich präsent im Titel von Cécile Wesolowskis erster Ausstellung in Österreich. Die Künstlerin versteht Zeit als einen konstanten Fluss, der Veränderungen der Realität und der persönlichen Wahrnehmung sichtbar machen kann. Dafür muss diese in Momente sequenziert werden, deren Aneinanderreihung von einer narrativen Struktur – davor, jetzt und danach – geleitet wird. Zeit wird so scheinbar greifbar.
Diese Sehnsucht manifestiert sich in der raumgreifenden Installation von Cécile Wesolowski: ein von goldglänzenden Rocaillen und Zierornamenten überzogener Vulkan dient als ironische Metapher für Preziosen und kostbare Wünsche. Bestehend aus minutiös gefalteten und geschichteten Rettungsdecken, im französischen couverture de survie (dt. Überlebensdecke) genannt, ist der Vulkan umgeben von Spiegelfolien, die sich wie flüssiges Silber sinnlich glänzend im Raum ausbreiten. Der äußere neobarocke Schein trügt, denn aus seinem Inneren wird dunkles Bitumen ausgestoßen, die glitzernde Oberfläche in langsamen, willkürlich Tropfen kontinuierlich unter seiner klebrigen Masse begrabend. Die inszenierte Zerstörung ruft den Wunsch nach einem Pausieren oder Zurückspulen der Zeit hervor, welcher insbesondere nach Verlusten, sei es von Liebe, Kapital oder Natur, jenseits der Kunst und der digitalen Welt in der ‘analogen’ Realität unerfüllt bleibt.
Die irreversible Konsequenz der Veränderung der Arbeit und das halluzinatorische Leuchten des Materials wirken dramatisch. Zwei Videoarbeiten, in Ästhetik und Format Smartphone Aufnahmen suggerierend, verstärken den Effekt zusätzlich. Ein rückwärts laufender Jagdunfall und die Aufnahme einer Sternschnuppe, unaufhörlich vor- und zurückgespult im Loop, verdeutlichen den unerreichbaren Wunsch nach der Korrektur eines Fehlers in der Vergangenheit, nach einer Chance auf Veränderung der Zukunft. Begleitet werden die Sehnsuchtsbilder von einer Keramikskulptur, einem Hybrid aus griechischem Kairos, der personifizierten Gottheit des günstigen Zeitpunktes und einem japanischen Daruma, einem Helfer bei der Erfüllung von Wünschen. Einem letzten, leisen Verzweiflungsakt gleich steht der Daruma im Fenster. Weder er, noch die Sternschnuppe oder die Überlebensdecken können uns vor der Flüchtigkeit der Zeit bewahren. Cécile Wesolowski verbildlicht in “The relation to time in liquid life” dieses schmerzhafte Gefühl, dessen Gravitas unter falschen Hoffnungen und unerfüllten Wünschen in einer bunten Scheinwelt begraben liegt.