Thilo Jenssen | Art Cologne New Positions | April 11 – 14, 2019
Thilo Jenssens Arbeiten locken mit spiegelnden, glatt polierten Oberflächen in schimmernden, glitzernden und manchmal changierenden Farben, einer Struktur, die gegenwärtig unmittelbar an Screens denken lässt. Seine Paintings sind dabei tatsächlich mit Impulsen der Gegenwart aufgeladen und distanzieren sich so von einer rein historischen Zuschreibung zur Finish Fetish Bewegung, welche in Südkalifornien in den 1960er Jahren – vielleicht als Reaktion des New Yorker Minimalismus, definitiv aber aus einem an der Westküste verbreiteten Automobilkult – aufkam. Jenssen ist, wie es die Kalifornier waren, inspiriert von Einflüssen aus der Pop Art und versucht unter Verwendung von Lacken, Metallen und de-kontextualisierten Objekten dem Wunsch, Licht in seinen vielfältigen farblichen Aufspaltungen darzustellen, nahe zu kommen.
Thilo Jenssen tritt jedoch mit bildhauerischem Gespür an die Malerei heran: unzählige Male schleift er über die aufgetragenen Oberflächen, deckt einzelne Partikel oder ganze Schichten wieder auf – sorgsam und strukturell arbeitend, aber auch von unberechenbaren, dabei zufällig entstehenden Mustern gelenkt. Es entstehen Strukturen und Farbverläufe, die an mikrobiologische Organismen denken lassen, an Strahlung, Supernovae, Sonnenaufgänge und -Untergänge, Lavaströme – eigentlich an alles, worin der Betrachter sozialisiert wurde und was er ins Bild zu reflektieren bereit ist. In diesem Sinn funktionieren die Arbeiten wie Codes, ein semiotisches Zeichensystem anbietend, deren Übersetzung jedem Einzelnen für sich vorbehalten ist.
Die Versuchung der Berühren-wollens ist groß. Es ist diese Körperlichkeit die den Arbeiten des Künstlers einen beinahe performativen Zugang eröffnet und seine eigene Faszination für zeitgenössische Themen durchscheinen lässt. Die aktuelle Reaktivierung des New-Age Gedankenguts, der Trend zu Animismus, Okkultismus, Magie, Energieströmen, Chakrenlehre und Yoga, bis hin zu Obsessionen für Fitness und gesunde Ernährung sind allgegenwärtig. Thilo Jenssen beobachtet die Phänomene und Meinungen. Anstatt sie zu analysieren, erzeugt er in seinen Paintings synthetische Repräsentationen dieser Vorstellungswelten für jene, die sie darin sehen möchten. Eine vergleichbare Ambiguität entsteht in der Serie Stabile Zustände, in welcher er Bilder von Erste-Hilfe-Maßnahmen aus alten Handbüchern fragmentarisch herausnimmt und durch den selektiven Ausschnitt intime Momente erzeugt. Der ursprünglich didaktische Zweck der Abbildungen wird von Jenssen somit überschrieben, was erneut eine Recodierung von angeeigneten Zeichen darstellt.
Der Untergrund der UV-Drucke ist aus Metall, teilweise seitlich mit Farbfeldern versehen. In ihrer Dreidimensionalität kommen sie mit anderen gefundenen Formen aus dem Alltag in Jenssens künstlerischem System überein, z.B. der skulpturalen Serie der Aschenbecher. Ihre Form ahmt den Inhalt nach, gleichzeitig sind sie jedoch nicht im Sinne eines Readymades dem öffentlich Raum entnommen, sondern – ähnlich den Paintings – lackiert, um bei darauf folgenden Schweißen zu einer eigenen Farbig- und Brüchigkeit zu finden. Die insgesamt dunkle Farbgebung der Hintergründe aller Arbeiten Thilo Jenssens, ein sattes Schwarz, führt zurück zur ersten Assoziation: Screens. Thilo Jenssen erzeugt somit Oberflächen, an denen sich unsere Wünsche, Ängste, Ideen und Vorstellungen suchen, finden und kategorisieren lassen, ähnlich dem Blick ins Smartphone oder in die Kristallkugel.