Galerie Sophia Vonier, Salzburg | August 11 – October, 2021
Aurora, die strahlende Personifikation der Morgenröte, wird zu Beginn eines jeden Tages neu geboren um den Einzug der Sonne anzukündigen. Ihr entströmt eine besondere Kraft, die uns als intensive Lichtatmosphäre erscheint und der wir wiederum ihren Namen geben. In der ersten gemeinsamen Ausstellung der Künstlerinnen Raphaela Riepl und Marianne Vlaschits in der Galerie Sophia Vonier in Salzburg treten wir in eine Sphäre, in der eine Vielzahl an Auroras regieren: Dämmerungen, Polarlichter, magnetische Felder, Fluoreszenzen und Energieflüsse werden mit den Mitteln der Kunst erforscht. Gemeinsam sind den beiden Herangehensweisen ein tiefes Interesse an Physik und kosmischen Lehren sowie ein bestimmter, eingeschriebener Bezug zu Körperlichkeit. Die jeweiligen formalen Deklinationen sind jedoch beinahe gegensätzlich. Zwei Polen gleich erzeugen Riepl und Vlaschits zusammen einen Wirkungskreis, dessen Potenz uns zu erleuchten vermag.
Wissenschaftlich gesprochen entstehen die beiden Auroras borealis und australis bekanntlich aus einer Wechselwirkung von elektrisch geladenen Teilchen des Sonnenwinds mit dem Erdmagnetfeld. Je nach Wellenlänge und Abstand zur Erdoberfläche treten die Polarlichter in unterschiedlichen Farben auf, denen in den Kulturen der Welt unterschiedliche Bedeutungen zugesprochen werden. Vor den Arbeiten von Raphaela Riepl fühlen wir uns in eben jenes Staunen ehrfürchtiger Generationen von Himmelsbeobachtern zurückversetzt. Beindruckend feine, in aufwendiger Produktion handgefertigte Neonröhren ziehen ihre unregelmäßigen Bahnen vor dem Hintergrund ebenso asymmetrischer pulverbeschichteter Metallträger oder innerhalb eigens konstruierter, freistehender Rahmen. Ellipsen und geschwungene Linien zeugen in ihrer bewussten Imperfektion von einer Performativität, die einem zeichnerischen Gestus zugrunde liegt. Denn Riepls Raumerfahrungen entstehen zunächst aus der spontanen, abstrakten Zeichnung, die sie in ihrer Essenz übersetzt. Die Körperlichkeit der Handführung wirkt in den Lichtstimmungen weiter: Je nach Tageslicht erscheinen die Linien der Leuchtkörper plastischer, um sich in der Dämmerung vollkommen in der Atmosphäre ihres Ortes aufzulösen. Diese schwer greifbare immaterielle Fokussiertheit bewegt sich zwischen Leere und Fülle, dem Nichts und dem All. Raphaela Riepl führt uns so an eine Suche heran, die Illusion mit Realisation verbindet.
Marianne Vlaschits beschreitet einen neuen Pfad innerhalb ihrer anhaltenden Faszination für astrophysikalische Phänomene. Ihre jüngsten Arbeiten basieren auf Illustrationen magnetischer Felder, insbesondere jener von Schwarzen Löchern. In malerischer Annäherung an die Kraftwirkungen des Magnetismus führt sie schwingende Strahlenbänder als roten Faden ihres Bildnarrativs ein. Unterschiedliche Himmelskörper, wie hell leuchtende Sterne, Darstellungen des Mondes oder manchmal sogar weibliche Köpfe, stehen jeweils im Zentrum der Strahlenbänder. Sie bündeln und multiplizieren die reziproken Kräfte der magnetischen Felder ihrer Singularitäten. So vermengen sich in den Arbeiten kosmische Landschaften vollumfänglich mit den dargestellten Körpern und Objekten. Im Sinne einer Metapher des US-amerikanischen Physikers Sean Michael Carroll ist es eine Vermengung, die wie Milch in Kaffee zunächst fraktale Turbulenzen erzeugt: Es entstehen wolkenförmige Gebilde, eine kraftvolle Zwischenstufe vor der eigentlichen Vereinigung. In Marianne Vlaschits Arbeiten entwickelt sich ein ähnlich fruchtbares Moment aus den Schwarzen Löchern selbst. Diese funktionieren wie eine Art Urfeuer, das Galaxien kreiert und zerstört. Die magnetisch geladenen Energieströme ihrer Prozesse lassen heiße Gaswolken zyklisch durch die Galaxie strömen und regulieren damit die Sternentstehung, an deren Ende die Erschaffung von Leben steht. In Verwandtschaft mit Aurora, Göttin der Morgenröte, erhebt Marianne Vlaschits in diesen Arbeiten das Schwarze Loch zur Göttin von Fruchtbarkeit und Tod.